Eingebildete Farben
Doch erscheinen uns wirklich alle Objekte in der Dämmerung farbneutral?
„Nachts sind alle Katzen grau! Sagt ein altes Sprichwort. Ohne Licht gibt es keine Farben. Ebenso gilt: Ohne entsprechende Rezeptoren in der Netzhaut wäre die Welt für die Menschen ebenfalls nicht bunt. Farbe wird erst von unserem Gehirn erzeugt. Das Phänomen Farbe beruht auf dem Zusammenspiel zwischen Lichtquelle, „farbigem“ Gegenstand, Auge und Gehirn.“
Günter Baars & Anette Hählen, PHBern 2010; www.phbern.ch/ideenset-Quantenchemie
Schon ab einer Beleuchtungsstärke kleiner 1 Lux reicht die Lichtenergie nicht mehr aus, um in den für das Farbsehen verantwortlichen Rezeptoren (Zapfen) einen Reiz auszulösen. Das entspricht etwa der Helligkeit bei Mondschein. Zum Vergleich: bei Tag schwankt die Lichtstärke zwischen 3.000 Lux an einem trüben Wintertag und 100.000 Lux einem wolkenlosen Sommertag. Im Übergang zwischen dem Tag- und dem Nachtsehen verschiebt sich die Farbwahrnehmung mit abnehmender Helligkeit ins Kurzwellige. Die Umgebung erscheint uns bläulich und weniger farbintensiv. Das beruht darauf, dass die drei für das Farbsehen verantwortlichen Zapfen für die Spektralfarben ROT, GRÜN und BLAU bei abnehmendem Licht in dieser Reihenfolge immer weniger Reize weiterleiten können. Ein Phänomen, das nach seinem Entdecker Purkinje-Effekt bezeichnet wird.
Hellempfindlichtkeitskurve des menschlichen Auges
blaue Kurve = skotopisches Sehen (nachts)
gelbe Kurve = photopisches Sehen (tags)
Im Film werden Nachtszenen deshalb meist ins Dunkelblau koloriert. Das erfüllt unsere Seherwartung und ist für die Zuschauer glaubhaft. Aber woran liegt es nun, dass viele Menschen von farbigen Seherlebnissen im Dämmerlicht berichten. Eigentlich reicht ja bereits die Beleuchtungsstärke bei Mondschein nicht mehr aus, um Farbreize auszulösen. Dennoch glauben wir schwach aber unterscheidbar Farben zu sehen. Die Wiese und der Baum vor unserem Haus erscheinen uns nicht grau, sondern leicht dunkelgrün. Das Gesicht unseres Partners oder Partnerin wirkt schwach hautfarben. Physiologisch eigentlich unmöglich. Denn bei geringer Lichtstärke senden nur noch die für das Helligkeitssehen zuständigen Stäbchen im Auge Signale. Dieses Phänomen der "eingebildeten Farben" offenbart, wie unsere Wahrnehmung funktioniert. Unser Gehirn neigt dazu, Objekte, die wir gut kennen, in der uns bekannten Farbigkeit zu interpretieren. Es verzerrt die Wirklichkeit so, dass die Erwartung erfüllt wird. Was dabei tatsächlich in unserem Gehirn vor sich geht, ist bislang noch nicht hinreichend geklärt. Doch Literatur und Film haben längst eine Antwort darauf: Um es mit Pipi Langstrumpf zu sagen: